SONNTAG, 18. DEZEMBER
Adolf Hitler über das kommende Kampfjahr
Richtungsweisende Ausführungen des Führers vor der
Preußenfraktion
Auch die Ara Schleicher wird nur eine vorübergehende
Epoche sein
Völkischer Beobachter
Die Zeit arbeitet gegen Hitler und für Schleicher
Die Sonntags Zeitung
Sechs Tage bis Weihnachten, aber der Winter scheint wieder fern. »Herrlicher Herbsttage, notiert der Dichter Oskar Loerke. »Sonne im Garten. Feierlichkeit. Stille. Veilchen blühen vereinzelt, duften aber
nicht. Die letzten wetterharten Chrysanthemen.»
Bella Fromm fährt am frühen Vormittag zur Reichskanzlei, Sie will Kurt von Schleicher nur kurz »Guten Tage sagen und ein kleines Präsent überreichen. Der Kanzler hat bekanntlich angeordnet, dass sie jederzeit zu ihm vorgelassen werden soll-nun wird sie das nutzen.
Aber Schleicher hat leider Besuch. Und Bella Fromm kann nicht lange warten, sie ist zum Frühstück verabredet. Also hinterlegt sie den Strauß mit Maiglöckchen bei Schleichers
Mitarbeiter Bredow, bittet ihn, sie später seinem Chef zu übergeben. »Wer hat Ihnen denn gesagt, dass dies seine Lieblingsblumen sind?". fragt der Oberst.
»Ich denke, es muss die Liebe sein«, antwortet Bella Fromm und eilt weiter.
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SONNTAG, 18. DEZEMBER
An diesem sonnenüberstrahlten Tag besucht Bernd zunächst eine NSDAP-Tagung in Magdeburg. Parteigenossen aus dem Harz,der Altmark, dem Land Anhalt und der Magdeburger Börde haben
sich eingefunden. Vor der Stadthalle, in deren großem Saal sich die Parteifunktionäre sammeln, schreitet Hitler im Ehrenhof mit ausgestrecktem Arm die Reihen der SA-Männer ab. Später im Saal klagt er in seiner Rede über die Intrigen seiner Gegner, anschließend müssen ihm alle Anwesenden die Treue schwören. Dann reist der »Führer«
umgehend weiter. Noch am selben Tag will er in Hamburg eine Rede vor Funktionären der Partei, der SA und der SS halten, die aus dem ganzen Norden angefahren kommen.
Hitler kämpft ums Überleben seiner Partei. Gauleiter Goebbels ist ebenfalls unterwegs: Hagen, Münster, Essen. Binnen 24 Stunden spricht er vor 20000 Funktionären der NSDAP. Was für eine Tour.
Im Gefängnis Tegel verfasst Carl von Ossietzky ein paar Zeilen an Kurt Tucholsky. »Sollte ich doch im Laufe der nächsten Zeit frei kommen und Sie dann wieder nach Norden reisen, so müssen wir uns irgendwo sehen, falls Sie nicht nach Berlin wollen.« Ossietzky gönnt sich ein wenig vorsichtige Hoffnung. In der Schweiz Tucholsky zu besuchen wird nach seiner Freilassung erst mal nicht möglich sein. Denn einen Tag vor Haftantritt im Mai wurde ihm sein Pass abgenommen.
In Kassel meutern zwei Stürme der SA. Der Sturm 5 und der Sturm Bettenhausen treten geschlossen aus der NSDAP aus, protestieren damit gegen den Ausschluss eines Anführers aus der Partei.
Der Mann hatte 300 Zentner Kartoffeln verkauft, die von Bauern gespendet worden waren. Mit den Einnahmen finanzierte er Uniformen für die Truppe, die seit Monaten auf Geldflüsse seitens der Partei wartete. Einige Mitglieder hatten sogar Lieferanten selbst bezahlt. Doch der Kauf war nicht genehmigt gewesen, es folgte der Raus wurf. Und nun gärt es in Kassels SA.
Insgesamt kündigt ein Drittel der hiesigen Mitglieder in diesen Tagen der NSDAP die Treue auf.
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STILLE NACHT
Gemeindewahl in Ostritz, einer Kleinstadt bei Dresden. Nicht 2000 Wähler geben ihre Stimme ab. In gewöhnlichen Zeiten interessiert dies in Berlin niemanden - aber die Nationalsozialisten
verlieren erneut kräftig an Stimmen. Das Zentrum siegt, vor einem Bündnis der Bürgerlichen. Und so landet das Wahlergebnis aus der Provinz auf der Titelseite der Vossischen Zeitung: Die nationalsozialistische Welle sei gebrochen.
Für Abraham Plotkin stellt sich immer mehr eine Art Alltag ein. Er hat sich angefreundet mit den Gewerkschaftern Furtwängler und Eggert und verbringt den Sonntag Karten spielend. Sie trinken Bier, prosten sich zu: Frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr! Man spricht auch über Theodor Leipart, den Vorsitzenden des ADGB. Dieser hat Plotkin zu sich eingeladen. Plotkin fühlte sich zwargeschmeichelt, ist der Einladung bislang aber nicht nachgekommen. Eine solche Bitte eines so mächtigen Mannes: Das, erklärt ihm Furtwängler, sei in Deutschland wie ein Befehl aufzufassen.
Gleich am nächsten Morgen will Plotkin an Leipart schreiben. In der Arbeiter Illustrierten Zeitung wirbt die Intourist GmbH, mit Sitz Unter den Linden 62-63, um Leser: »Nach Sowjetrussland billige Winterreisen 1932/33. Für Arbeiter und Angestellte, 28. Januar bis 18. März, 6 Tage ab Berlin ab 160 RM. Studienreise deutscher Pädagogen 23.12., 9 Tage, 225,-.«
Weihnachten feiern in der UdSSR?
Es war ein wunderbar milder Tag, bis zu acht, neun Grad, doch Oskar Loerke wirft sich schlaflos im Bett hin und her. Wacht auf, mit zitternden Nerven. Einmal träumt er von einem großen versinkenden Schiff.»Aus Ritzen unter den Deckbänken drang Wasser«, notiert er, »schnell dann ein böses Hin- und Herschwanken. Im Augenblick des Überbordgerissenwerdens Erwachen.« Loerke leidet unter dem krisenhaften Wesen der Gesellschaft, unter der aufgehetzten politischen Lage, fühlt sich ausgeschlossen, als gehörte er nicht dazu.
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