15 Dezember 1932
DONNERSTAG, 15. DEZEMBER
Deutschnationale Absage
Keine Koalitionsverhandlung in Preußen
Vossische Zeitung
Unter Hitlers Druck
Schleicher baut Papen ab!
Der Angriff
In der Nacht dringen unbekannte Täter in eine Schlachterei in der Alexanderpassage in Berlin ein. Sie durchbrechen drei Wände und stoßen in die Fleischkammer vor. Dort entwenden sie Würste und Schinken eine Beute mit einem Gewicht von sechs Zentnern. Ein paar Kilometer weiter, im Wedding: Am Morgen halten mehrere Täter in einem Lebensmittelgeschäft die Verkäuferinnen fest, andere raffen Waren zusammen. Sie entkommen mit Produkten im Wert von 100 Reichsmark. Und in einem weiteren Laden plündern fünfzehn junge Burschen die Tische mit der Auslage, packen ihre Rucksäcke voll und fliehen auf Fahrrädern. Die Polizei kommt stets zu spät.
Wieder einmal beschäftigen sich die Beamten im Wehrministerium mit der KPD. Bredow informiert Schleicher regelmäßig über kommunistische Propagandaaktionen und Zersetzungsschriften gegen die Reichswehr. Schon 1930 versuchte das Militär, dagegen anzugehen. Flugblätter wurden in den Kasernen verteilt: »Du bist ein elen der Schurke, wenn du für einen Judaslohn an einen kommunistischen Agenten militärische Dinge verrätst. Denn du begehst Landesverrat und lieferst deine Heimat dem größten Feind aus.» Seit einiger Zeit gibt es den » Uhrenerlass Schriften anzeigt, erhält als Prämie eine Uhr.
Nun bereiten die Militärs harte Schritte gegen die Kommunisten vor.
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Bredow verkündet in einer »Kurzorientierung« an seinen Vorgesetzten, dass die Wehrmachtsabteilung eine Ausnahmebestimmung gegendie KPD in der Schublade habe. »Die Arbeit ist vorsorglich ausgeführt. Die weitere Entwicklung der Lage bleibt abzuwarten. Dann wird sichzeigen, welche Maßnahmen zu treffen sind.»
Von Punkt sieben Uhr am Abend an dringt Kurt von Schleichers Stimme in abertausende Wohnzimmer und Kneipenräume im Deutschen Reich. Die Rundfunkrede des neuen Kanzlers ist das Ereignis des Tages. Seine Botschaft wird in vielen Städten im Anschluss auf Ver-anstaltungen der Parteien diskutiert werden: SPD, KPD und NSDAP haben jeweils ihre Anhänger eingeladen, gemeinsam die Ansprache zu hören.
Kein Publikum, nur die nötigen Rundfunktechniker: So könnte sich Schleicher wohl fühlen. Aber er sitzt steif im hellen Anzug vor einem großen Mikrophon, wirkt verkrampft. Seine Miene ist sorgenvoll.
»Ich habe gegen die Annahme des Kanzleramtes die allerschwersten Bedenken gehabt«, so fängt er an. »Einmal, weil ich nicht der Nachfolger meines Freundes Papen, dieses Ritters ohne Furcht und Tadel, sein wollte, dessen vom reinsten Wollen und hoher Vaterlandsliebe getragenes Wirken erst eine spätere Zeit voll anerkennen wird, vor allen Dingen aber deshalb, weil der Wehrminister als Reichskanzler nach Militär-Diktatur riecht, und weil die Gefahr nicht von der Hand zu weisen ist, dass durch eine Verbindung dieser beiden Ämter die Wehrmacht zu stark in die Politik gezogen werden könnte.«
Schleichers Sätze sind gewunden, seine Gedanken kompliziert. Spricht so ein Kanzler, der das Volk gewinnen kann? Und hat er Papen wirklich gerade «Ritter ohne Furcht und Tadel» genannt? »Nur die Überlegung, dass eine solche Maßnahme den Ernst der Situation so scharf kennzeichnen und auf gewisse Unruhestifter so abkühlend wirken würde, dass dadurch der tatsächliche Einsatz der Wehrmacht verhindert werden kann, hat mich zur Zurückstellung meiner Bedenken veranlasst.»
Er wolle, sagt Schleicher, als ȟberparteilicher Sachwalter der In-
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DER PLAN
teressen aller Bevölkerungsschichten für eine hoffentlich nur kurze Notzeit« gesehen werden. Nein, er habe nicht vor, eine Militärdiktatur zu errichten: »Es sitzt sich schlecht auf der Spitze der Bajonette, das heißt, man kann auf die Dauer nicht ohne eine breite Volksstimmung hinter sich regieren.«< Seine Regierung verfolge nur eins. »Arbeit schaffen! Alle Maßnahmen, die die Reichsregierung in den nächsten Monaten durchführen wird, werden mehr oder weniger diesem Ziel dienen.«
Im Reichswehrministerium kommen zeitgleich Vertreter aller Ministerien und der Reichsbehörden zusammen. Es geht um die Ergebnisse des Planspiels, das Eugen Ott geleitet hat. Auf der Tagesordnung stehen die »Bekämpfung politischer Streiks« und »vorbereitende Maßnahmen für einen Ausnahmezustand während einer Zeit der politischen Spannung«. Eingeladen hat von Bredow, der zweitwichtigste Mann des Wehrressorts. Man berät sich ungestört. Sein Chef spricht gerade im Rundfunk zum Volk.
Kanzler Schleicher redet nun ausführlich und detailliert über die Arbeitsbeschaffung. Ob die Menschen da draußen gespannt vor den Geräten sitzen? Zischen sie einander an, still zu sein? Oder haben viele das Radio schon ausgestellt? Dabei sind ein paar Gedanken bemerkenswert. Deutschland ist gespalten, aber Schleicher behauptet, ihn interessiere das wenig: »Ich bin ketzerisch genug, einzugestehen, dass ich weder ein Anhänger des Kapitalismus noch des Sozialismus bin, dass für mich Begriffe wie» Privatoder Planwirtschaft ihre Schrecken verloren haben, ganz einfach, weil es diese Begriffe in absoluter Reinheit im Wirtschaftsleben gar nicht mehr gibt, auch gar nicht mehr geben kann.»
Und dann nennt Kurt von Schleicher sich selbst einen »sozialen General«.
Politik ist auch die Kunst, ein Narrativ seiner selbst zu weben. Der »soziale General« könnte hängenbleiben beim Volk, das Hilfe will und Führung zugleich.
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Joseph Goebbels hat die Rede des Kanzlers ebenfalls gehört. Sehr dünn, flach, gewollt burschikos, urteilt er. Schleicher verspreche einfach zu viel. Nur wenige Wochen würden vergehen, prophezeit er, und all diese Illusionen seien zerschlagen.
Und Paul von Hindenburg? Nichts zu hören von ihm. Der Präsident hat nun endlich etwas Frieden, da die ersten Tage des Kanzlers überstanden sind.
Soll Schleicher mal zeigen, was er kann.
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