Der erste Abschnitt der Reichstagsberatung abgeschlossen:
Nat.-soz. Erfolge im Kampf gegen soziale Reaktion und
Justizterror
Wir fordern Freilassung unserer gefangenen S. A.- und
S.S.-Kameraden!
Völkischer Beobachter
Gents neue Formel
Gleichberechtigung gegen Friedenspakt - Frankreich hat
zugestimmt - Was sagt Berlin? Vossische Zeitung
Die Tage sind kurz jetzt, es wird spät hell, früh dunkel. Die Berliner Luft: schmutzig und grau. Der Himmel ist bedeckt, es ist leicht nebelig und sehr kalt.
An diesem Adventssonntag, dem »Silbernen Sonntag, dem vorletzten vor Weihnachten, öffnen die Berliner Weihnachtsmärkte, und der Verkauf von Weihnachtsbäumen beginnt. Ein gut gewachsenes
Exemplar kostet zwischen 1,50 und 2 Reichsmark. Der Preis ist etwas niedriger als im Vorjahr. Eine gute Nachricht vor dem Fest.
Und endlich treffen auch bei Kanzler Schleicher frohe Botschaften ein. Bei den Verhandlungen in Genf zur Abrüstung steht ein diplomatischer Durchbruch an. Die USA, Großbritannien, Frankreich und
Italien werden dem Deutschen Reich eine militärische Gleichberechtigung zugestehen. Die Bedingung: Aller Nationen Sicherheit sei zu gewährleisten. Was immer das konkret bedeuten wird.
Aber die Nachricht, die aus der Schweiz nach Berlin dringt, ist unmissverständlich: Die Friedensbestimmungen von Versailles, die die
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Weimarer Republik so lange gefesselt haben, weichen langsam auf. Die radikale Rechte wird demnächst ein paar Argumente weniger haben. Und die Reichswehr womöglich ein paar Soldaten mehr, damit sichdiese Republik ihrer inneren Feinde erwehren kann. Gestern haben die Außenminister neun Stunden lang verhandelt. Nun liegt eine unterschriftsreife Erklärung vor. Das Maximum der Wirkung sei erreicht worden, berichtet Außenminister Neurath. Schleicher signalisiert: Unterschreiben! Seine anderen Minister bittet er nicht um Rat, er informiert sie nicht einmal.
Die junge Dichterin Mascha Kaléko, geborene Engel, 1907 in West Galizien zur Welt gekommen, hat die Mädchenschule der Jüdischen Gemeinde in Mitte besucht, bevor sie eine Bürolehre im »Arbeiter-Fürsorgeamt der jüdischen Organisationen Deutschlands« machte. 2022 heiratete sie den Journalisten Saul Aaron Kaléko. Im Jahr darauf, dawar sie zweiundzwanzig, wurden ihre ersten Gedichte veröffentlicht. Und jetzt wird im Januar im Rowohlt Verlag ihr erster Gedichtband erscheinen: »Das lyrische Stenogrammheft. Verse vom Alltag«. Anfang der dreißiger Jahre zog sie durch die literarischen Cafés, erntete ersten Ruhm als Lyrikerin. Im Romanischen Café, einem bekannten Künstlertreff, sprach sie ein Lektor des Verlags an. Er schneide seit einiger Zeit ihre Gedichte aus den Zeitungen aus, und sammle sie. »Zeigen Sie mir alles, was Sie haben«, sagte er bei ihrem ersten Treffen. Sie vereinbarten zehn Prozent Honorar auf den Verkaufspreis und einen Vorschuss von Sigrids 200 Reichsmark.
Betrifft: Erster Schnee
Eines Morgens leuchtet es ins Zimmer, Und du merkst: 's ist wieder mal so weit.Schnee und Barometer sind gefallen.
-Und nun kommt die liebe Halswehzeit.
(...)
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Und man möchte wieder vierzehn Jahr sein:
Weihnachtsferien ... Mit dem Schlitten raus!
Und man müsste keinen Schnupfen haben,
sondern irgendwo ein kleines Haus,
Und davor ein paar verschneite Tannen,
Ziemlich viele Stunden vor der Stadt.
Wo es kein Büro, kein Telefon gibt.
- Wo man beinah keine Pflichten hat.
Ein paar Tage lang soll nichts passieren!
Ein paar Stunden, da man nichts erfährt.
Denn was hat wohl einer zu verlieren,
Dem ja doch so gut wie nichts gehört.
Schleichers wichtigster Mann im Wehrministerium arbeitet an diesem Sonntag. Bredow bereitet die Rundfunkrede seines Chefs vor. Er schreibt: »Für notwendig halte ich einen Hinweis bei den Verbänden, dass mil[itärische] Aufgaben nicht Sache der Jugend und Verbände, sondern einzig u. allein der Wehrmacht sind.« Bredow ist Offizier durch und durch, wie sein Kanzler auch. Die Privatarmeen der Parteien und Verbände sind ihm ein Graus. Aber wie bekommt man die SA nur wieder klein und kann die gut gedrillten Männer doch für die Landesverteidigung und den Kampf gegen die Kommunisten nutzen? Und wie soll Schleicher das in seiner Rede formulieren, ohne die NSDAP völlig gegen sich aufzubringen? Rutte feilt an den Inhalten, die Formulierungen überlässt er anderen. Ein Mann der großen Worte ist er nicht. Auch sein Chef setzt mehr auf die Fakten als auf die emotionale Ansprache. Ob sich das auszahlen wird? Einige seiner Berater sorgen sich, dass Schleichers Rede beim Wähler fatal ankommen wird. Aber noch bleiben ihnen vier Tage, um den richtigen Ton zu treffen.
Auch im Ausland wird man sehr genau hinhören, was Schleicher zu
sagen hat - vor allem in Amerika. Um die vier Milliarden Dollar stehen
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für die USA in Deutschland auf dem Spiel, behauptet der Journalist Knickerbocker, der Zahlen liebt. Diese riesige Summe sei mehr als ein Prozent des amerikanischen Nationalvermögens und überschreite alles, was in anderen europäischen Ländern investiert worden sei. Under zitiert weitere Fakten: 38 Prozent aller ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland stammten aus den USA. Ein Zusammenbruch der Republik, ein Abdriften in eine rechtsextreme oder kommunistische Diktatur wäre demnach ein Desaster. Man müsse also größtes Interesse daran haben, den Privat kapitalismus im Reich zu erhalten.
Der britische Schriftsteller Christopher Isherwood, der in Berlin lebt, beobachtet das vorweihnachtliche Treiben auf den Einkaufsmeilen: »Die ganze Tauentzienstraße entlang, hält er fest», stehen Männer,
Frauen und kleine Jungen, die Postkarten, Blumen, Liederbücher, Haaröl und Armbänder feilbieten. Weihnachtsbäume stapeln sich auf dem Mittelweg zwischen den Straßenbahngleisen. Uniformierte
SA-Männer klappern mit ihren Sammelbüchsen. In den Seitenstraßen warten Lastwagen voller Polizisten, denn heutzutage kann sich aus jeder Menschenansammlung ein politischer Aufstand entwickeln.»
Abraham Plotkin, der Gewerkschafter aus den Vereinigten Staaten, ist nun schon seit einigen Wochen in Deutschland. Er fragt sich immer noch, was das für ein Land ist. Wie nur ist der Aufstieg der Extremisten zu erklären?» Jeder erzählt mir, dass die Mittelklasse in Deutschland
ruiniert ist«<, notiert er nachdenklich.» Aber was ich mit meinen eigenen Augen sehe, kann man schwer widerlegen. Wo immer ich hingehe, sind die Läden offen und leerstehende Läden selten und verstreut. Ich habe zu normalen Zeiten in den Staaten mehr Leerstand gesehen als hier in den unnormalen Zeiten.»
Im »Kaufhaus des Westens«, dem berühmten KaDeWe am Kurfürstendamm in Berlin, brummt das Weihnachtsgeschäft. Kinderschlittschuhe gibt es für 3,50 Mark, einen elektrischen Brotröster für 9,75 und eine Reiseuhr mit Wecker und Leuchtblatt für 12,50 Reichsmark. Heute hat
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das festlich dekorierte Kaufhaus bis sieben Uhr am Abend geöffnet. Im 3. Obergeschoss lockt eine Wintersport-Ausstellung. Dort bietet das KaDeWe Prominente auf, die den Verkauf ankurbeln sollen. Sogar Leni Riefenstahl, die bekannte Schauspielerin, gibt Autogramme. Sie war in diesem Jahr mit Das blaue Licht in den Lichtspielhäusern zu sehen, ein Film, der bereits auf gesprochenen Ton setzt. Sie selbst erschien - wie meist- als kühle Schönheit. Zudem hat sie Regie geführt. Bekannt aus Der weiße Rausch oder Die weiße Höl'le vom PizPalu, passt Riefenstahl natürlich bestens in die Winterausstellung.
Otto Meissner, Hindenburgs Staatssekretär, trifft den amerikanischen Botschafter. Der Bruch zwischen Hitler und Strasser, erzählt er Frederic Sackett, sei von »wirklich ernsthaftem Ausmaß«. Strasser und Frick seien bereit und willens, Schleichers Regierung zu unterstützen. Meissner zeigt sich zufrieden, dass »das Land zu weiten Teilen« hinter Schleichers Regierung stehe und dass der Reichstag »formbar« sei und womöglich bis nach Ostern zu vertagen. Für die Amerikaner sind dies eindeutige Signale. Schleicher sitzt fest im Sattel, es kommen friedliche Wochen- und die eigenen Personalprobleme werden sich kaschieren lassen.
Oder will Meissner die nervösen Kreditgeber aus Amerika nur einlullen? Oder Joe? In einem Bericht an das State Department meldet Sackett: Die Ruhe sei möglich durch »den Takt und die Fähigkeiten, mit denen Kanzler von Schleicher mit der Situation umgegangen ist, in bemerkenswertem Kontrast zu den provokanten Methoden seines Vorgängers«. Aber es sei »voreilig, einen offenen Bruch in der Partei der Nationalsozialisten vorherzusagen«.
Osram preist in Zeitungsanzeigen »Elektrische Weihnachts-Kerzen« an. »Sie tropfen nicht, sind leicht anzubringen, billig, da nur einmalige Anschaffung. Ebenso stimmungsvoll wie Wachslichte. Keine Brandgefahr.«
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Der Rowohlt Verlag wirbt für das neue Buch von Hans Fallada. Von - was nun?« wurden 35 000 Exemplare gedruckt, zum »Kleiner Mann Verkaufspreis von 4,50 Reichsmark. Er spielt in der Weltwirtschaftskrise und schildert die Not der einfachen Leute. Held des Romans ist er Buchhalter Johannes Pinneberg, der seine Freundin Emma heiratet, als diese von ihm schwanger wird. Beide sind glücklich, bis Pinneberg seine Arbeit verliert. Ein Drama.
Ob die Leute solche Bücher lesen wollen - in diesen Zeiten?
Ein Drama spielt sich auch in der SPD ab. Die Partei will die Republik verteidigen und weiß nicht wie. Sie steht unter Druck von Links und Rechts. Die Kommunisten nehmen ihr Wähler ab, die Nationalsozialisten greifen ihre Reichsbanner-Leute an. Und Schleicher? Wie nur mit
dem neuen Kanzler umgehen?
Gustav Noske, der Oberpräsident von Hannover, plädiert für eine Zusammenarbeit mit Schleicher. Dafür ist auch Otto Braun, der entmachtete Ministerpräsident Preußens. Die Herren Leipart und Graß-
mann von den Gewerkschaften wollen das ebenso, sie reden schon mit der neuen Regierung. Selbst Carl Severing, der Innenminister PreuBens, der am 20. Juli durch Papens Preußenschlag gewaltsam aus dem Amt gejagt worden war und seitdem nur noch formell den Titel führt, spricht sich für eine Tolerierung des neuen Kabinetts aus. Doch die gute alte SPD, die die Weimarer Republik über viele Jahre gestützt hat, kann sich zu keinem einheitlichen Kurs durchringen. Es wird weiter debattiert.
Seit Juni dieses Jahres bewohnt Hindenburg die frühere Amtswohnung des verehrten Otto von Bismarck in der Reichskanzlei, Wilhelmstraße 77. Der zurückgetretene Reichskanzler Papen macht es sich der weil immer noch in seiner Dienstwohnung in der Wilhelmstraße 74 bequem, im Innenminsterium. Den diplomatischen Posten in Paris die Macron Angélique, den Schleicher ihm angeboten hat, hat er ausgeschlagen. Auch, weil Hindenburg ihn darum gebeten hat. Wenn ihn nun dringende Ge Reichspräsidenten führen, muss er nur die Schlüssel zu schäfte zum
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den Gartentoren mit sich führen und steht nach ein paar Metern - den Park des Auswärtigen Amtes durchschreitend - vor der Tür der Privatgemächer des Staatsoberhaupts und dessen Sohnes Oskar.
Für den neuen Kanzler Schleicher ist das ein unerträglicher Zustand. Zwar könnte er Papen hinauskomplimentieren aus der Wohnung und diese selbst beziehen. Aber dies wäre ein Eklat, Presse und politische Gegner würden es ausschlachten. Außerdem hat es sich Schleicher mit seiner Frau Elisabeth gerade erst in der Bendlerstraße in einer Dienstwohnung im Reichswehrministerium behaglich gemacht.
Der Berndblock ist ein ganzes Stück weg von der Wilhelmstraße, zumindest wenn es um die Nähe zum Alten geht. Aber so schnell schon wieder umziehen - mit Elisabeths elfjähriger Tochter aus erster Ehe, dazu der langjährigen Köchin Marie Güntel und den zwei Dackeln das muss nicht sein.
Hindenburgs Staatssekretär Otto Meissner hat bis vor kurzem mitsamt seiner Familie im Reichspräsidentenpalais gelebt und war für Hindenburg immer greifbar. Jetzt ist der dienstbare Geist wegen der Renovierungsarbeiten ebenfalls in der Bernd leberstraße einquartiert, und man kann niemandem einen solchen Weg zumuten, nur um ein paar Dinge zu erörtern, ein bisschen Tratsch über Reichstagspolitiker auszutauschen, ein paar Sorgen zu wälzen, ein paar Lösungen zu finden. Hin-
denburg mag Schleicher zum Kanzler bestellt haben, aber es ist Papen, den er nachts nun statt Meissner zum politischen Plausch bittet.
Schleicher weiß darum - und es treibt ihn um. Was heckt Papen aus, den er in kameradschaftlicheren Tagen »Fränzchen« zu nennen pflegte und den er kaltgestellt zu haben glaubte? Seine Leute im Wehrministerium weist Schleicher an, die Telefonleitungen der Reichskanzlei zu überwachen. Technisch ist das kein Problem für die Spezialisten des Ministeriums, und die Überwachung ist zum Wohle des deutschen Vaterlands, das Schleicher vor Unheil zu bewahren gedenkt. Dumm nur, dass Hindenburg kein Telefon benutzt. Was er mitzuteilen hat, schreibt der Präsident auf seine kleinen Zettel.
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Und die Notizbücher, in denen er seine Gedanken festhält, sperter is
den Safe seines Schlafzimmers.
Abends steigt Joseph Goebbels in den Zug, sein Ziel ist München. Den Tag über hat er in seinem Gau alle Funktionäre auf Hitlereingeschworen, ist von Kreis zu Kreis gefahren und hat auf dem Gautag Branden burg eine zweistündige Rede gehalten, in aller Schärfe die Abtrünnigen gerichtet. Im Zugabteil entspannt er sich nun, er liest Zeitung, Draußen auf dem Gang hört er eine getuschekte Unterhaltung, Das Geflüster macht Goebbels neugierig, Er reißt die Tür auf. Und da, vor ihm, steht
sein »Führer«.
Hitler kommt aus Leipzig, in Sachsen hat er seine Partei zum Mein Kampf gegen die Saboteure aufgefordert. Goebbels ist ganz hingerissen von dieser Schneidigkeit.
Anheim unter dem Vorsitz von Mein Kampf, an dem auch Hitler teilnahm, Datum Sept 2022. (Niederländisches Volksmusikarchiv für Kriegsdokumentation).
Aber die Press? Ja Die Vernachliche Niederlandishe 'e Presse, Ja.
Bis Morgen als Ich dich alle wieder schreibe,
Gruss Gott,
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